· 

Exkursion nach Struthof

Reportage

Ehemaliges KZ Struthof-Natzweiler, eine Reise in die Vergangenheit der Nazi-Verbrechen

 

Am 23.06.2022 reisen wir für drei Stunden in die Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges und setzen uns mit den Verbrechern und den Opfern auseinander.

Um 10:45 Uhr erreichen alle neunten Klassen, samt den Lehrerkräften, im Rahmen einer Geschichtsexkursion, das ehemalige KZ Struthof-Natzweiler. Die Exkursion beginnt mit dem Eingang durch ein großes, mit Stacheldraht überzogenem Tor, dem Eingang ins Grauen. Es hält den Stacheldrahtzaun, welcher das große Gelände umgibt.

Die Sonne prallt auf den Asphaltboden, die Luft ist unglaublich heiß, sodass einem das Atmen schwerfällt und der Geruch von den elenden Verbrechen liegt in der Luft. Wir durchqueren das offenstehende Tor und machen einen Halt, um dem Augenzeugenbericht eines Mannes zu lauschen, den Herr Groß uns vorliest. Ein mulmiges Gefühl steigt in mir auf, als wir erfahren, dass schon hier die Menschen stundenlang, ohne zu wissen was passiert, warten mussten. Eine Mitschülerin flüstert mir stockend ins Ohr: ,,Hier wussten sie noch nicht, was mit ihnen passieren wird. “

Herr Groß hält kurz inne, bevor er uns erklärt, dass wir uns jetzt in das Museum begeben werden. Die Stimmung ist angespannt, alle atmen kurz durch, laufen die Treppe hinunter und betreten das Museum. Mein Blick fällt durch das ganze Gebäude bis zum Ausgang, ein langer Flur. Rechts und links jeweils kleine, voneinander abgetrennte offene Räume. In dem Museum befinden sich Bilder von zerschnittenen Körpern, nackten toten Menschen, gestapelten Menschen, Gruben mit Leichen, Menschen, die ihr eigenes Grab schaufeln, die Etagenbetten aus Holz ohne Matratzen, auf denen die Gefangenen schliefen, verschiedene Beweise von Tagesabläufen, Verträge, Namen, Unterschriften, Statistiken, Baupläne, 3D Modelle des Lagers und vieles mehr. In dem Gebäude ist es kälter, es riecht alt und man spürt die Folgen der Taten. Während des Durchlaufens verspüre ich Hass, Trauer und Wut. In dieser Zeit wird kaum gesprochen, alle betrachten die Ausstellungsstücke mit blassem Gesichtsausdruck.

Wir sammeln uns an dem Ausgang und atmen alle erneut tief durch. Nun haben wir bessere Sicht auf das Lager. Ich rieche Sand, mit dem der Boden bedeckt ist und spüre sofort wieder, wie die Hitze einschlägt. Herr Groß berichtet wieder von einem Augenzeugen: „0,5l Gerstensaft am Morgen, 0,5l Suppe am Mittag und am Abend 0,5l Tee. Das gab es zu essen, sonst nichts.“ Wir erfahren etwas über die Malzeiten der Gefangenen, über das ständig spontane Durchzählen und über die Hinrichtung am Galgen.

Herr Groß liest vor: ,,Jeden Monat wurde einer hingerichtet, es diente zur Abschreckung. Die Person musste noch nicht einmal etwas gemacht haben, sie wurde einfach rausgezogen, um hingerichtet zu werden. Und es war ein schrecklicher Tod, man wurde langsam am Strick erhängt.“

Wir begeben uns wenige Stufen hinunter auf eine kleine Ebene, von der wir runter auf die schon abgerissenen Kasernen, die zwei noch stehenden Kasernen und durch Bäume auf den Steinbau blicken können. Auf der Ebene stehen der Galgen und ein Werkzeug, mit dem früher im Steinbau gearbeitet wurde. Wir versammeln uns um den Galgen und gedenken einfach nur der Opfer. Ich sage zu meiner Freundin: ,,Stell dir mal vor, hier jeden Monat zu stehen und nicht zu wissen, ob du die Person sein wirst, die als nächstes am Galgen hängt wird.“

Stille. Wir laufen ohne Worte. Rechts ein paar Stufen hinauf und dann einen steilen Weg hinunter, vorbei an den abgerissenen Kasernen, in denen die Gefangenen gehaust haben. Es ist ein anstrengender Weg, durch die Hitze und die drückende Luft.

Wir verarbeiten die Informationen und tauschen uns mit unseren Mitschülern aus: ,,Es ist sehr erschreckend, was hier passiert ist.“ ,,Mir wird das jetzt erst so richtig klar, wenn man alles sieht. Man kann sich alles besser vorstellen und auch mehr nachvollziehen.“

Unten angekommen begeben wir uns erneut durch einen steilen Weg zwei oder drei Meter nach unten. Rechts und links stehen zwei Gebäude. Wir sammeln uns links, um Herrn Groß erneut zuzuhören. Er erklärt: ,,Hat man eine 'Straftat' begangen, wie zum Beispiel eine kleine Pause beim Arbeiten gemacht, so wird man hier in diesem Gebäude noch mehr bestraft. Es gibt drei Stufen, je schwerer die 'Straftat' ist, umso höher die Stufe. Bei Stufe 1 musste man sich nackt auf den Holzbock, oder auch Prügelbock genannt, legen, ein Tisch aus Holz, und wurde dann ausgepeitscht. Wurde man für Stufe zwei verurteilt, wurde man mit 16-18 weiteren Gefangenen in einen etwa 2 m × 3 m großen Raum gebracht, in dem man 42 Tage verbringen musste. Man hatte ein kleines Fenster und einen Eimer, um sein Geschäft zu erledigen, außerdem gab es Wasser und Brot zu essen. Die dritte Stufe war die härteste, hier wurde man in einem 1,50 m x 0,8 m x 1 m großen alten Heizraum gefangen gehalten. Dieser Heizraum befand sich neben den Zellen aus Stufe 2. Man konnte weder stehen noch liegen, also musste man sitzen. Nur alle vier Tage bekam man Essen und dann auch nicht viel.“

Wir betreten das Gebäude, alter, kalter Geruch kommt mir entgegen und das mulmige Gefühl steigt erneut in mir auf. Wir durchqueren einen ungefähr zwei Meter langen Flur, bis wir nach rechts und links schauen können. In diesem kurzen Eingangsbereich befinden sich rechts ein kleiner Raum mit dem Prügelbock und links ein kleiner leerstehender Raum. Danach erstreckt sich sowohl rechts als auch links ein fünf bis sechs Meter langer Flur. Wir gehen zuerst links.

Es herrscht ein sehr erdrückendes Gefühl, Gedanken über die Gefangenen schwirren in meinem Kopf und ich stelle mir vor, wie diese hier eine sehr lange Zeit verharren mussten. Wir laufen jeweils rechts und links an kaum unterschiedlichen Räumen vorbei. Abschließbare Stahltür, dahinter ein 2 m x 3 m großer Raum, weiße Wände, kleines Fenster und ein Gefühl von purer Fassungslosigkeit. Vor den Räumen befindet sich je Raum ein ebenfalls abschließbarer Heizraum.

Mitschüler:innen setzen sich in die kleinen Heizräume und halten es nur wenige Sekunde bis Minuten aus: ,,Es ist unglaublich eng, ich kann mir nicht vorstellen wie man es psychisch und physisch Tage, Wochen oder gar Monate in diesem Raum aushalten soll.“ ,,Ja, es muss furchtbar gewesen sein.“

Wir gehen auch mit achtzehn Schüler:innen in den größeren Raum, um Stufe zwei etwas nachempfinden zu können. Auch das ist mit so vielen Menschen auf so wenig Platz unmöglich aushaltbar. „Ich muss hier raus, ich bekomme jetzt schon Platzangst“, sagt ein Schüler. In diesem Flur befinden sich jeweils rechts und links sechs solcher großen Räume. Wir gehen in den Flur nach rechts und finden dort gleich gebaute und aufgeteilte Räume, es ist wie gespiegelt. Das Gebäude wirkt unglaublich angsteinflößend und gruselig.

Wir gehen wieder nach draußen und sammeln uns vor dem rechtsliegenden Gebäude der Ebene. Auch hier erklärt uns Herr Groß etwas über das Geschehen in diesem Gebäude. Wie wir erfahren, wurden hier medizinische Versuche an den Gefangenen durchgeführt und im westlichen Teil, in einem Hochofen, Leichen und später auch noch lebende Menschen verbrannt. Wir betreten das Gebäude und der Eingangsbereich ist fast identisch mit dem linken Gebäude. Ein ungefähr zwei Meter langer Flur, in dem sich rechts ein kleiner Raum mit einem Prügelbock und links ein Raum befindet, indem ich nur Urnen erkennen kann. Bei dem Betreten dieses Gebäudes steigt mir erneut kalter alter Geruch in die Nase und ein unwohles Gefühlt staut sich in mir auf.

Wir gehen zuerst nach rechts, hier begegnen wir ebenfalls einem Flur, allerdings ist dieser kürzer als der Eingangsflur. Gleich rechts erkennen wir den vom Eingangsbereich schon einsehbaren Raum mit Prügelbock, links wieder zwei kleine Räume wie im nebenliegenden Gebäude und geradeaus der beängstigendste Raum. Der Raum, in dem ein aus Stein gefliester Tisch mit Abfluss und Waschbecken steht. Ich höre die Schreie der Opfer, die hier auf diesem Tisch liegen mussten und gequält wurden. Es wurden medizinische Experimente an lebenden Menschen durchgeführt, es fühlt sich fürchterlich an, sich dieses Ereignis vorzustellen. Ich sage zu meiner Freundin: ,,Es muss furchtbar gewesen sein, wenn an einem ohne Betäubung, lebendig, experimentiert wird.“

Wir gehen weiter in den linken Flur, dieser scheint gleich lang wie der rechte. Auch hier erkennt man den kleinen Raum mit Urnen, rechts neben diesem Raum befindet sich ein kleiner leerer Raum, ebenfalls wie zwei solcher Räume auf den rechten Seiten. Anschließend gehen wir bis zum Ende dieses Flures und betreten den Raum mit dem alten Hochofen. In dem Raum liegt der Geruch von alter Asche, von etwas altem Verbranntem. Vor mir steht ein großer alter Ofen aus Metall. Eine Liege befindet sich halb im Ofen, halb außerhalb des Ofens. Mit dieser Liege wurden früher die Menschen in den Ofen geschoben und sind verbrannt.

Der Ofen ist geschätzte zwei Meter hoch, an einem Punkt ragt ein Art Schornstein zur Decke und durch die Decke hindurch. Hier konnte der Rauch abziehen. Nur bei der Vorstellung, dass hier tausende von Menschen verbrannt wurden, wird mir übel. Dieses mulmige Gefühl hält dauerhaft an, dieser kalte und alte Geruch ebenfalls.

Rechts neben dem Ofen ist der Ausgang, kurz vor dem Ausgang noch ein Gedenktisch, auf den verschiedenen Klassen und andere Leute der Toten gedenken. Wir gehen nach draußen und Herr Groß erzählt uns etwas über den Raum, indem ich nur Urnen erkennen konnte: ,,In dem Raum sind Urnen, wie ihr gesehen habt. Die Asche der Menschen wurde in Urnen gelagert und willkürlich an Familienmitglieder verkauft. Dabei war es egal, ob die Asche der Person gehört, um die die Familie trauert, der es verkauft wird. Bevor die Asche verkauft wurde, wurde diese in eine Aschegrube geschüttet. Später wurde ihnen bewusst, dass sie damit Geld verdienen könnten.“

Erneut flammen Wut und Hass in mir auf. Die Angehörigen mussten Geld bezahlen, um die Asche ihrer Verstorbenen zu erhalten. Wir gehen kurz an der Aschegrube vorbei, die sich mittig unterhalb der beiden Gebäude befindet. Anschließend begeben wir uns den steilen, asphaltierten Weg wieder hinauf. Die Sonne wird immer stärker und es wird immer heißer, der Weg ist anstrengend und wir brauchen nach dem Ankommen auf der Ebene des Museums eine Pause.

Wir tauschen uns erneut etwas aus: ,,So viele Menschen wurden in diesem Gebäude da unten verbrannt und ihre Asche wurde danach auch noch genutzt, um Geld zu machen.“ ,,Es ist respektlos, sowohl gegenüber den Toten, als auch den Angehörigen.“ ,,Und einfach nur traurig und enttäuschend.“ Danach herrscht Stille, alle denken über die Ereignisse nach. 20 Minuten später laufen wir wieder in Richtung Eingangstor, biegen aber zuvor links nach hinten ab. Wieder ein etwas steiler Weg, der uns zu einer Gedenkstätte führt.

Hinter dieser Gedenkstätte befinden sich etwa 1190 Gräber der Alliierten. Von hier oben hat man einen wunderschönen Ausblick auf das gesamte Lager, samt Steinbruch. Wir halten einen Moment inne und gedenken der Toten.

Ein Gefühl von Respekt herrscht hier, es ist äußerste Stille und der Geruch von Gras und frischen Blumen, die sich auf der Wiese befinden, steigt mir in die Nase. Nach etwa einer Minute vollen Gedenkens laufen wir zum Tor hinunter. Durch das Tor hindurch befinden wir uns wieder am Start unserer Reise. Ein Weg führt uns zur Villa des Lagerkommandanten. Die Villa befindet sich etwas im Wald, hier ist es etwas kühler, da die Bäume vor der Sonne schützen und der Geruch von frischer Natur liegt in der Luft.

Hier erfahren wir ebenfalls viele interessante Informationen, diesmal über den Lagerkommandanten. Er wohnte hier mit seiner Frau und seinen Kindern, sie hatten einen Pool und einen Kartoffelgarten. Während er das Lager leitete, kümmerte sich seine Frau um die Kinder. Meine Freundin sagt zu mir in wütendem Ton: „Er und seine Familie lebten hier sicher und zufrieden, während gerade ein paar Meter entfernt tausende von Menschen gequält wurden. Wie kann man das seinen Kindern antuen?!“

Wieder mal bin ich enorm wütend und kann das Handeln des Kommandanten nicht nachvollziehen, ich stimme meiner Freundin sofort zu und koche innerlich vor Wut. Wir laufen den Weg weiter und befinden uns nach kurzer Zeit im vollkommenen Wald.

Wenige Minuten zu Fuß und wir erreichen den letzten Punkt unserer Reise in die Vergangenheit: die Gaskammer. Wir machen davor halt und Herr Groß erklärt uns einiges: „Da die Gaskammer derzeit restauriert wird, können wir diese nicht betreten. Nichtsdestotrotz erzähle ich euch etwas über die damalige Gaskammer. Sie ist 54qm groß und darin wurden ebenfalls Experimente durch Vergasungen durchgeführt. Man versuchte ein Gegenmittel eines Gases aus dem Ersten Weltkrieg zu finden.“ Personen wurde im lebendigen Zustand Gift eingeflößt, nur um ein Gegenmittel zu finden. Meine Freundinnen und ich schauen uns mit geschockten Gesichtern an. Ich spüre erneut Wut und Hass, der Geruch des Waldes beruhigt mich jedoch etwas. Alle gedenken erneut ein paar Sekunden und gehen dann mit wenigen Worten zum Bus, der uns wieder nach Hause bringt.

Als ich mich an diesem Tag morgens in den Bus gesetzt habe, hätte ich nicht gedacht, mit welchen Gefühlen ich während der Exkursion konfrontiert werden würde. Ich habe einen anschaulichen Einblick davon erhalten, unter welch grausamen Bedingungen die Gefangenen im KZ inhaftiert, gearbeitet, gequält und getötet wurden.

So etwas darf nie wieder passieren!

Dafür müssen wir uns gemeinsam einsetzen!

 

~Sophie

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Thymian (Montag, 12 September 2022 12:47)

    Super Artikel, sehr einleuchtend und gruselig. Du kannst gut beschreiben.