Die kühle Nachtluft schlug ihm ernüchternd ins Gesicht, als er das Gebäude verließ. Das dumpfe Wummern der Musik war auch hier draußen noch gut zu vernehmen. Er setzte sich schlurfend in Bewegung, hoffend, dass der beißende Geruch nach Alkohol auf dem Nachhauseweg verfliegen würde. Mit vor Kälte zitternden Fingern zündete er sich einen Zigarette an und setzte seinen Weg fort, den Rauch in die Dunkelheit pustend. Seine Schritte hallten auf der leeren Straße unangenehm laut um die Häuser. Obwohl die Straßenlaternen spärliches Licht auf die verdreckten Pflastersteine warfen, war die Sicht schlecht. Doch das störte ihn nicht. Zu sehr fixiert waren seine Gedanken auf dieses eine Mädchen, das seit diesem Abend in seinem Kopf herumspukte. Würde er sie nach der Party je wieder sehen? Die Chancen standen gering, aber er würde die Hoffnung nie aufgeben. Sein Blick würden in allen Menschen immer nach diesem einen Gesicht suchen. Die halblangen kastanienbraunen Haare, die lebhaft blitzenden, smaragdgrünen Augen und die feinen Sommersprossen auf ihrer Nasenspitze, die selbst jetzt im Winter noch erkennbar waren. Wie könnte er sie je vergessen?
Jäh wurden seine Gedanken von lautem Geschrei unterbrochen. Aus einer Seitengasse stürmte eine vermummte Gestalt hervor, direkt auf ihn zu. Die Sinne noch immer vernebelt vom Restalkohol, war er unfähig zu reagieren. Ehe er sich es versah schlug man ihn mit einem massiven Holzknüppel nieder und stopfte ihn in einen muffigen Sack.
„Hast du ihn?“, hörte er eine tiefe, barsche Stimme durch den rauen Stoff dringen. Eigentlich sollte er schreien, um sich schlagen und versuchen sich zu befreien, doch dazu hatte er keine Kraft mehr. Ruppig wurde der Sack über den Boden gezerrt. Die Stimmen hallten noch immer durch die Gassen, doch er hörte sie nicht. Eingeschlossen im Kofferraum eines schwarzen Transporters mir getönten Scheiben rollte er aus der Stadt hinaus. Schwankend und rumpelnd ratterte das Auto über unwegsames Feld. Sein Kopf schlug immer und immer wieder gegen die vom Motor vibrierende Wand, bis er schließlich endgültig das Bewusstsein verlor.
„Schafft ihn hier rein!“ Barsch wurde er von einer Stimme aus dem Schlaf gerissen. Der Sack lag zerknüllt neben ihm und er konnte nicht sagen, wie er dort hinausgekommen war. Genauso wenig wusste er wo er war und was das Ganze hier überhaupt sollte. Er war entführt worden. Doch warum?
Er zuckte zusammen, als die Wagentür aufgerissen wurde und drei große Männer vor ihm standen. Ihre Silhouetten waren im fahlen Licht des Mondes nur schwer auszumachen. Einer der Drei zerrte ihn grob aus dem Kofferraum heraus. Sein Kopf schlug hart an die Decke und hinterließ dort eine markante Delle. Unwirsch wurde er über einen steinigen Weg geschubst. Sie befanden sich auf einer Art Hof, der über und über mit schreienden und eilig umher eilenden Menschen übersät war, die sich mit den Lichtkegeln zahlreicher Taschenlampen ihren Weg durch die Dunkelheit suchten.
„Los weiter!“, knurrte einer der Männer und er wurde eine Treppe hinauf in ein Haus gestoßen. Dort flammte gleißend das Licht der Deckenlampen auf und raubte ihm für einen Moment die Sicht. Ehe er sich versah, stürzte er einen Schacht hinunter und kam dumpf auf kaltem Steinboden auf. Eine Klappe schloss sich. Einen Augenblick lang meinte er das Blitzen smaragdgrüner Augen vor sich zu sehen, dann wurde ihm schwarz vor Augen.
Jale, 28.02.2020