Lesezeit: 3 Minuten;
Ich merke zunehmend, dass immer mehr Artikel hier auf der Schülerzeitung unsere Gesellschaft und deren Erwartungen an uns kritisieren und auch ich selbst habe mehrere Artikel verfasst, die sich mehr oder weniger mit diesem Thema beschäftigen.
In diesen Artikeln geht es jedoch hauptsächlich darum, dass wir in einer Gesellschaft leben, der man es kaum recht machen kann und dass es schwer ist und Mut braucht, aus dieser Gesellschaft auszubrechen und sobald man sich das wagt, trifft man oft auf Kritik.
Aber warum ist das überhaupt so? Wieso leben wir in einer Gesellschaft, die so fixiert darauf ist, dass alle gleich sind, aber trotzdem "Be Yourself" auf die Fast-Fashion T-Shirts, die jeder trägt, druckt?
Und wieso ist es so schwer, etwas anderes zu wagen?
Um ehrlich zu sein, kann ich mir diese Fragen selbst nur schwer beantworten. Manchmal habe ich Tage, an denen ich liebend gerne Kleidung anziehe, die nicht gerade "normal" ist, an anderen greife ich wieder nach den normalen Klamotten. Irgendwo ist es auch Gewohnheit. Hat man sich an ein Kleidungsstück gewöhnt und fühlt sich wohl darin, ist es auch einfacher, dieses zu tragen, egal wie seltsam es für andere vielleicht aussehen mag. Ich weiß, dass andere diese Probleme kaum haben, das ist auch von Person zu Person anders. Manche machen sich gar keine Gedanken darüber, sich so zu zeigen, wie sie sind, andere würden dies zwar gerne tun, trauen sich aber nicht.
Und ist das nicht traurig?
Manchmal denke ich über mich selbst, wie lächerlich es doch ist, ein bestimmtes Kleidungsstück nicht anzuziehen, weil es nicht "normal" ist. Ich meine, wer hat diese Regeln festgelegt und wer sagt, dass sich jeder daran halten muss? Wieso diese krankhafte Obsession, unbedingt immer das anzuziehen, was gerade "in" ist? Wer dachte sich, es wäre eine gute Idee, alle, die anders sind, auszuschließen? Um sich besser über sich selbst zu fühlen, weil man genau das tut, was die Gesellschaft einem vorgibt zu tragen?
Es endet ja auch nicht bei Kleidung, ich finde nur, dass das einfach ein anschauliches Beispiel ist. Das kann sein, ein Hobby zu haben, dass viele kindisch betiteln würden oder bestimmte Interessen oder auch Dinge, wie sich als LGBTQ+ zu outen, auch wenn das immer akzeptierter ist. Trotzdem sind die Queeren nach dem Klischee immer noch die Nerds, die ihre eigene kleine Freundesgruppe haben, auch wenn das natürlich oft nicht der Wahrheit entspricht.
Stell dir vor, eine Person würde einer anderen, die dich nicht kennt, von dir erzählen. Nur deinen Namen sagen. Anhand des Namens kann man oft das Geschlecht ableiten. Dann vielleicht dein Alter. Die Person weiß dann über dich zum Beispiel "Okay, ein vierzehnjähriges Mädchen". Es poppt ein Bild im Kopf dieser Person auf und dieses Bild birgt Erwartungen. Ist das nicht schrecklich? Dass man einfach anhand von Geschlecht und Alter einen Stereotyp kreieren kann?
Jede:r von uns hat ein Alter und die allermeisten auch ein Geschlecht und diesen kann man nicht entkommen. Wir sind alle gefangen in diesen stereotypischen Bildern, wir können nicht dem entkommen, was andere von uns erwarten.
Wieso leben wir in einer Gesellschaft, die so sehr nach Gleichheit strebt? Der Mensch hat Angst vor Veränderungen. Aber ist es wirklich Angst, die Erwartungen stellt?
Ich meine, sobald man einen eigenen Style trägt bekommt man auch oft Komplimente, viel häufiger als Menschen, die sich an die Menge anpassen. Man muss natürlich auch mit schrägen Blicken und vielleicht sogar blöden Kommentaren rechnen, aber allgemein gibt es wohl auch Menschen, die sich zwar selbst keinen anderen Style entwickeln, diese aber trotzdem mögen.
Ich weiß nicht genau, wo ich mich hiermit noch überall hinschreiben werde. Es sind einfach alles Gedanken, die in meinem Kopf herumschwirren, weil ich keine Antwort darauf finde, wieso wir so obsessiv an Standards festhalten. Ich meine, wer hat denn entschieden, dass Frauen ihre Beine rasieren müssen? So lange kann das ja nicht her sein. Für den größten Teil der Weltgeschichte war es nicht "eklig" so rumzulaufen. Wieso ist das jetzt fast schon ein Skandal? Klar, Schönheitsstandards ändern sich, aber warum eigentlich? Neue Styles sind ja auch irgendwie cool. Ich mag es, Videos über historische Kleidung zu schauen und was man damals getragen hat und wie sich Mode verändert hat. Schon damals war es aber wichtig, immer das modernste zu tragen, zumindest in den obersten Gesellschaftsschichten. Damals ging es wahrscheinlich auch um Status und Geld und auch heutzutage sind mit Markenkleidung und all dem definitiv noch Reste davon zu spüren. Vielleicht ist es wirklich das. "Ich kleide mich auf diese Art, deswegen bin ich besser als andere und kann mich gut über mich selbst fühlen, alle anderen stehen unter mir". Zu wenig Selbstwertgefühl oder so. Aber das glaube ich auch nicht.
Jetzt habe ich aber wirklich lange über Kleidung geschrieben und das ist ja nicht mal das schlimmste, was so falsch läuft in unserer Gesellschaft.
Was ist mit der Art, wie man redet? Sogar für das Lachen wird man ausgelacht. Oder dafür, keinen Alkohol zu trinken, ab einem bestimmten Alter. Es gibt all diese sozialen Regeln, an die man sich halten muss, ohne je ein Regelhandbuch in die Hand gedrückt zu bekommen, eins das genau sagt, wie viele Sekunden ich über welchen Witz lachen darf, denn alle anderen scheinen das ja irgendwie verinnerlicht zu haben. Auch Dinge, wie die Erwartung ab einem bestimmten Alter eine:n Partner:in zu haben, spielt da mit rein. "Hast du schon eine:n Freund:in?" Ist ab irgendeinem Alter die Standardfrage bei Familientreffen oder Ähnlichem. Als gäbe es nichts wichtigeres. Als wäre es obligatorisch. Als müsse man in diese Box passen, in die sie dich stecken wollen.
Auch unser Familienbild von zwei Eltern und Kindern spielt da mit rein. Keine Kinder haben wollen ist zwar immer häufiger, aber was ist mit mehr als zwei Eltern? Mit Haushalten, in denen die Partner nicht in einer romantischen Beziehung sind? Das alles gibt es, das meiste wird akzeptiert, aber das wenigste wird angenommen, wenn du Eckdaten zu deiner Person angibst, an der all diese Stereotypen kleben bleiben, die du dann wieder mühsam von dir abschütteln musst.
Wieso sind bestimmte Dinge - erste:n Freund:in, Partys, Alkohol - in einem bestimmten Alter so wichtig? Auch an all diesen Büchern und Filmen über den schüchternen Nerd, der über sich hinauswächst, sind diese drei Dinge immer präsent auf dessen Reise zum Erwachsenwerden. Aber nur weil das für viele ein Schritt ist, der einfach dazugehört, ist es vielleicht einfach nicht das Ding von anderen. Vielleicht wollen auch die, die sonst zu der Menge gehören, irgendwas von den oben genannten nicht.
Schubladendenken, vorschnelle Einordnung in Stereotypen, Obsession mit dem, was alle anderen machen.
Das ist es, was mich an unserer Gesellschaft unter anderem am meisten stört. Um die "Coolness" von Mobbing, Ausgrenzung bis zu Rassismus oder Homophobie gar nicht erst anzusprechen, das ist nochmal ein ganz anderes Thema.
Julia
Kommentar schreiben