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Narben

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Sie krempelte ihren Ärmel hoch und es kam das zum Vorschein, was ich befürchtet hatte.
Ich hatte es schon lange geahnt und eigentlich war es für mich nichts Neues. Dennoch lief mir ein Schauer eiskalt über den Rücken. Für einen Moment starrte ich einfach nur auf ihren Unterarm.

Auf ihrer Haut erkannte man blutrote Risse und Narben, die sich durch ihre Haut zogen, wie die Peitschenhiebe der Folter, der sie sich selbst aussetzte. Ihr Äußeres spiegelte ihre seelischen Wunden wider. Jeder Schnitt, eine weitere seelische Bürde, die sie tragen musste und die ihr niemand abnehmen konnte. Nicht einmal ich, so sehr ich es auch versuchte. Das Einzige, das ich tun konnte, war die Schmerzen zu lindern. Ich löste mich von dem Anblick und sah zu ihr hinauf.

Sie blickte mich mit ihren müden Augen an. Der Glanz in ihnen, der mich einst angestrahlt hatte, war längst verschwunden. Das Feuer in ihnen längst erloschen. Ich suchte in ihren Augen noch immer nach einem zumindest kleinen Funken Hoffnung. Doch wie immer ging meine Suche leer aus. Sie entzog sich meinem Blick, den sie kaum zu ertragen schien, denn ich durchbohrte sie förmlich.

Sie sah nun auf den Boden und ich starrte sie immer noch besorgt an.

Sekunde um Sekunde verstrich. Ein Schweigen stand zwischen uns, das bald von einer bedrückenden Stille abgelöst wurde. Dann brach sie endlich das Schweigen: „ Du hast es schon geahnt, habe ich recht?" Sie legte ihren Kopf schief und wandte sich mir zu. Ich nickte nur. Dann griff ich nach ihrer Hand und hielt sie so fest ich konnte:

„Warum tust du das?", fragte ich. „Ich kann es dir nicht sagen“, entgegnete sie. Aber ich wusste, warum sie es tat. Sie tat es, weil sie begonnen hatte, sich selbst zu hassen. Sie tat es, weil sie keine Hoffnung mehr in sich trug, weil das Leben für sie keinen Sinn mehr hatte.

Aber vor allem tat sie es, weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass sie geliebt wurde.

Dass es Menschen gab, die für sie die Hand ins Feuer legen würden, die mit ihr mitfühlten. Traurig waren, wenn sie traurig war, und sich für sie freuten, wenn ihr etwas Gutes passierte, wenn sie einen Erfolg verzeichnete, oder einfach froh waren, weil sie einen guten Tag hatte und es sie glücklich machte, sie glücklich zu sehen. Doch Letzteres kam viel zu selten vor.

 

Hedy


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