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Angst, Kreativität und ein weiterer Grund, warum unser Schulsystem mangelhaft ist

Lesezeit: 12 Minuten; 

 

 

Was wäre denn ein guter Schuljahresanfang, ohne einen weiteren Artikel, der unser Schulsystem kritisiert? Nein, Spaß beiseite, aber ich muss mal wieder etwas zu dem Thema schreiben und hoffe vorab, dass es mir niemand allzu übel nimmt. Vorneweg: Stellt euch hier auf einen etwas längeren Artikel ein. Kann sein, dass ich zwischendurch abschweifen werde.

Also: Was haben unser Schulsytem, Angst und Kreativität miteinander zu tun? 

Wir sollten neulich für den Englisch-Unterricht einen TED Talk darüber schauen, ob Schule Kreativität tötet. Und siehe da: Unser Schulsystem — und spannenderweise nicht nur unseres, sondern alle Schulsysteme — haben eine Art Rangordnung der Fächer. Mathe und Sprachen ganz oben, dann Natur- und Gesellschaftswissenschaften und ganz unten Kunst und Musik. Was der TED Talk als sehr schlimm beschreibt, finde ich gar nicht so schlimm: Denn ich finde es immer noch besser, Fächer, bei denen fast alle ungefähr die gleichen Voraussetzungen haben mehr zu bewerten, als Fächer wie Sport oder Kunst, wo Schüler:innen mit sehr viel und gar keinem Talent zusammensitzen und trotzdem nach dem gleichen System bewertet werten. Aber daran sind auch hauptsächlich die Noten schuld, die Leistung, die in diesen Fächern zwingend erbracht werden muss. Wenn man diese künstlerischen Fächer als das werten würde, was sie sind; nämlich Fächer, um der eigenen Kreativität freien Lauf zu lassen und Spaß zu haben, ganz ohne Leistungsdruck, wäre meine Meinung wieder eine ganz andere. Und diese deckt sich mit der von Sir Ken Robinson, der besagten TED Talk hielt. 

Fakt ist nämlich folgender: Unser Schulsystem zielt auf eine bestimmte Gruppe junger Menschen ab. Menschen, die gut auswendig lernen können, sehr sportlich sind, künstlerisch begabt, kein Problem damit haben, vor anderen zu reden oder Fragen zu stellen, bestenfalls immer Interesse am Thema zeigen und die irgendwann in ihrem Leben an die Universität gehen und dort Professor:in werden. Zumindest, wenn ich mir unsere Schule anschaue. 

Denn Dinge, die ein professioneller Tänzer, Koch, Schreiner oder Landwirt in seinem Leben braucht, lernen wir hier nicht. Wir lernen ja nicht einmal, was jede:r in seinem Leben braucht, wie seine Steuererklärung zu schreiben. 

Aber nochmal einen Schritt zurück: Unser Schulsystem trifft auf eine ganz bestimmte Art von Menschen zu. Und ich wette mit euch, dass die wenigsten sich mit den oben aufgelisteten Fakten identifizieren können. Was kein Wunder ist. Und das ist der Grund, weshalb unser Schulsystem schlecht ist.

Wir brauchen nicht sieben Milliarden Universitätsprofessor:innen. Deshalb ist es gut, dass wir alle verschieden sind, dass es an unserer Schule angehende Bäcker:innen, Lehrer:innen, Psycholog:innen, Prothesenbauer:innen und viele andere gibt. Es ist gut, dass all diese (hoffentlich) den Weg zu dem Beruf finden werden, der am besten zu ihnen passt. Aber unser Schulsystem drängt sie trotzdem in eine bestimmte Richtung. Und hier kommt die Kreativität ins Spiel. 

Alle Kinder sind kreativ. (Fast) alle Kinder malen, tanzen und singen. Aber Erwachsene? Erwachsene haben gelernt, ihre Zeichnungen als schlecht zu betiteln, ihr Tanzen als unrhythmisch und ihre Stimme als schief. Weil wir beim Aufwachsen von allen Personen in unserem Umfeld, auch (oder vor allem) Familie und Freund:innen deren Meinung gesagt bekommen — die uns manchmal antreibt weiter zu machen, mit dem was wir tun, aber uns viel öfter beibringt, wie schlecht wir doch eigentlich in etwas sind, das uns Spaß macht, und dass wir unbedingt damit aufhören sollten, um es unserem Umfeld komfortabler zu machen. 

Und in der Schule? Natürlich hasst du Kunst, wenn du immer dreier und vierer auf deine Bilder bekommst, auch wenn du dich im Vergleich zu letztem Jahr massiv verbessert hast. Natürlich hast du Panik vor Sport, wenn die Wertetabellen gefühlt an Leistungssportler:innen gemessen wurden und nicht an durchschnittlichen Schüler:innen deines Alters. Wobei doch der Sinn dieser Fächer gar nicht der ist, dass du gut darin bist. Der Sinn daran ist, deine künstlerische Kreativität auszuleben und Spaß an Bewegung zu entwickeln. Was meint ihr, wie viele Erwachsene in ihrer Freizeit mehr Sport treiben würden, wenn sie es von der Schule aus nicht gelernt hätten, zu hassen? Soviel dazu, das Schulfach Sport sei gut für die allgemeine Gesundheit. 

Kommen wir nochmal auf die Kreativität zu sprechen. In wie vielen Schulfächern sind wir kreativ? Klar, in Kunst — wenn die Aufgabe nicht ist, ein ganz bestimmtes Bild genau so zu malen. Und natürlich, wenn wir Präsentationen gestalten — aber auch nur beschränkt, es soll ja nicht zu kunstvoll sein, damit man sich noch auf den Inhalt konzentrieren kann. Auch in Deutsch oder Englisch, wenn man eigene Geschichten schreibt, in Religion oder auch Geschichte, wenn es um einen Zeitungsartikel geht, der verfasst werden soll. Kreativität ist immer irgendwo vorhanden. Aber sie ist auch eingeschränkt und immer mit einem gewissen Leistungsfaktor verbunden. Natürlich könntest du jetzt eine Präsentation genau so gestalten, wie du es willst — auf Kosten einer guten Note.   

Und wenn jemandem einfach kein Unterrichtsfach liegt, nicht einmal Kunst, Musik oder Sport — dann kann der:diejenige vielleicht gut kochen. Oder reiten. Oder tanzen. Oder Zaubertricks vorführen. Aber sie werden in eine bestimmte Richtung gelenkt, und diese Richtung heißt Uni. Nicht nur von der Schule, auch von Eltern und der Gesellschaft. Wenn dein Traumberuf irgendeiner ist, bei dem auch nur das kleinste Risiko besteht, wenig zu verdienen, wird einem in den allermeisten Fällen davon abgeraten. Aber dabei ist es doch so: Der Beruf wird irgendwann ein riesiger Teil vom Leben. Und persönlich möchte ich nicht irgendetwas machen, das mir keinen Spaß macht, bis ich in einer Rente, die ich hoffentlich erleben werde, all mein Geld für Dinge ausgebe, die ich sowieso nicht brauche. Lieber lebe ich etwas weniger komfortabel und habe dafür Spaß an dem, was ich tue — denn es ist ja mein Leben. 

Aber die meisten haben das irgendwie immer noch nicht verstanden — eingeschlossen die Menschen, die unser Schulsystem designed haben. Gut, dass ist jetzt auch schon länger her, wahrscheinlich war damals eh alles anders und man hat sich auf andere Dinge konzentriert. Obwohl — ich kenne Menschen, die hatten noch das Fach Werken. Das auch nützlicher klingt, als irgendwelche mathematischen Formeln zu lernen, die man (hoffentlich) nie wieder braucht. Also vielleicht hat sich unser Schulsystem sogar im Laufe der Jahre verschlimmert. Früher hat man Kochen irgendwie noch zu Hause besser lernen können, weil das — zumindest als Mädchen — »einfach dazugehört hat«. Und während ich mehr als froh bin, dass wir aus diesen klischeehaften Rollenbildern größtenteils herausgewachsen sind, ist es doch so, dass heutzutage oft beide Eltern arbeiten gehen und einfach nicht mehr die Zeit haben, ihrem Kind jetzt auch noch Kochen beizubringen. Oder wie man eine Steuererklärung schreibt. Und zusätzlich hat man das mit dem Kochen meines Wissens nach teilweise auch an Schulen gelehrt. Und dann wieder abgeschafft, weil die Kinder es ja eh können. Und jetzt? Jetzt lernen die meisten es doch von zuhause. Aber eben nicht alle, und bedeutend weniger als früher. Und was ist die Lösung des Bildungsministeriums? Däumchen drehen.

 

Meine Hauptnachricht mit diesem Artikel soll jetzt nicht sein, dass Kochen als Schulfach eingeführt werden sollte. Ich wollte es nur als Beispiel dafür benutzen, wie seltsam die Entscheidungen des Bildungsministeriums sind. Denn jetzt mal ehrlich, das einzige, was ich in meiner ganzen Schulzeit vom Bildungsministerium mitbekommen habe, war a) dass sie, als ich in der vierten Klasse war, viele kleine Grundschulen (wie meine) schließen wollten (warum auch immer), woraufhin wir Dritt- und Viertklässler:innen Briefe an die Bildungsministerin geschrieben haben. Ob sie die je gelesen hat, weiß ich nicht, Fakt ist aber, dass meine Grundschule noch existiert. B) gibt es dieses Jahr einen neuen Lehrplan im Geschichte-LK. Der hat zwar einige relativ coole Wahlpflichtmodule, lässt aber aus irgendeinem Grund den 1. Weltkrieg komplett aus. 

Natürlich wird das Bildungsministerium noch viele andere Dinge getan haben, ich verfolge das ja jetzt auch nicht spezifisch. Zum Beispiel hat es ja auch einen Schülerzeitungswettbewerb organisiert und uns Preisgelder zukommen lassen. Dennoch sind die zwei anderen Sachen, die ich so mitbekommen habe, etwas fragwürdige Entscheidungen. Wieso man lieber den Geschichtslehrplan ändert, als den Deutschlehrplan von 1900irgendwas oder warum man lieber kleine Grundschulen schließt, als sich darum zu kümmern, dass die Kinder in der Grundschule auch in Fächern wie Werken unterrichtet werden oder wieso bis jetzt noch niemandem aufgefallen ist, wie viele Schüler:innen (besonders solche, die zum Beispiel ADHS oder Dyskalkulie haben (wobei auf letzteres übrigens im Matheunterricht (soweit ich weiß) keine Rücksicht genommen werden »darf«, weil es keine anerkannte Lernschwäche ist)) unter dem derzeitigen Schulsystem leiden, werde ich wahrscheinlich nie verstehen. Vielleicht ist man zu faul. Schließlich betrifft es einen nicht mehr. Meine Idee wäre eine Aktion, bei der jede:r Schüler:in einen Brief an das Bildungsministerium schreibt, mit allem, was an unserem Schulsystem verbesserungswürdig ist und Vorschläge bringt, wie man diese umsetzt. Denn natürlich ist das System nicht von Grund auf schlecht, dass will ich gar nicht behaupten, auch wenn es hier vielleicht so klingt. Ich meine nur, dass es ausbaufähig ist, und das schon seit viel zu langer Zeit. 

Weil das Schulsystem auf eine bestimmte Zielgruppe abzielt, die nicht wirklich existiert. Weil es weniger angesehene Berufswege unters Pult fallen lässt. Weil wir lebenswichtige Dinge nicht beigebracht bekommen und nach unserem Abschluss ins kalte Wasser geworfen werden. Weil es gemeinsam mit der Gesellschaft dazu beiträgt, dass wir Angst davor entwickeln, Fehler zu machen und wir selbst zu sein. 

Der Sinn von Kunst ist, dass sie Freude bereitet. Und wenn auch nur dem, der sie erschafft. 

Der Sinn an Schule ist, dass sie uns alles beibringt, was wir brauchen, um unser Leben in der Zukunft zu meistern. 

Beides ist meiner Meinung nach in unserer Gesellschaft nicht erfüllt. Und daran müssen wir arbeiten. 

 

Julia 


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Kommentare: 1
  • #1

    Hannah (Freitag, 06 September 2024 21:34)

    Ich stimme dir wie immer in allen Punkten zu. Lasst uns Kreativität und auch weniger gut-bezahlte Jobs als Lebensziel fördern, wenn es zu Glück führt