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Exkursion nach Struthof 2

»Vor uns, etwas zu Linken, zwei Reihen von schwarzen Baracken, die aufeinander zu stehen scheinen, so steil

ist der Hang und [die] von einem doppelten, mehrere Meter hohen Zaun aus dichtem Stacheldraht umgeben

sind, der eher an ein Fischernetz oder ein Spinnennetz erinnert. Ein Lager, daran besteht kein Zweifel. Hier

im Elsass und so nah an Straßburg! Kräftige Projektoren leuchten die ganze Fläche mit einem nackten und

fahlen Licht aus. Wir gehen hinein und aufgrund des Hangs haben wir das Gefühl eines Abstiegs in die Hölle.

Gnade dem, der unterwegs hinfällt. Unsere Peiniger werden ihm sicher nicht verzeihen. Sie brüllen und

prügeln immer noch mit der gleichen Energie, dem gleichen sadistischen Vergnügen. [...]

Wir sind Automaten geworden, wir werden Automaten sein. Vor jeden von uns wird ein Haufen Lumpen

geworfen. [...] Es gab ein absolutes Verbot, etwas zu tauschen. Wir sehen jetzt aus wie Vogelscheuchen.

Jeder von uns bekommt ein rotes Stoffdreieck mit einem F in der Mitte und ein kleines weißes Rechteck,

auch aus Stoff, mit einer Nummer. Alles muss am nächsten Tag auf die Jacken genäht werden, auf der

Herzseite. Nummern sind wir geworden. Wir sind keine Männer mehr. Ich bin nicht mehr Eugène Marlot, ich

bin jetzt die Nummer 6149. Es kommt die Zeit des Verfalls«.

Ein Zeitzeugenbericht von Struthof, einem Konzentrationslager. Ein Zeitzeugenbericht des Konzentrationslagers, in das jedes Jahr die neunten Klassen unserer Schule fahren um zurück in die Vergangenheit zu blicken. Ich kann sagen, dass jeder, zumindest von unserer Klasse, in dieses KZ hineinging und verändert wieder hinauskam. Es ist eine schreckliche Erfahrung, durch dieses KZ zu laufen und sich diese Bilder anzuschauen. Bilder von Mord, von Erniedrigung, von Verbrechen. Obwohl die meisten Gebäude oder Relikte aus dieser Zeit  nachgebildet worden sind, jagen sie einem trotzdem Schrecken ein.

 

Kaum ist man durch das Tor in das Lager getreten, werden wir durch das Museum geführt, in dem wir alte Dokumente und Gegenstände betrachten können. Die Bilder erzählen eine grausame Geschichte!

 

»Wir mussten an der einen Seite des Wegs Erde und Steine aus einem Hügel heraushauen, auf einen

Schubkarren laden und sie auf der anderen Seite des Wegs einen Hang hinunterschütten. Das war nicht so

einfach, wie man vielleicht glauben mag. Es war Februar, es war kalt, es fror ständig und immer lag Schnee.

Der Boden war hart, die Steine wie festgeklebt, und es kostete unheimliche Mühe, die Hacke ein paar

Zentimeter tief in die Erde hineinzuschlagen. [...] So war es nicht verwunderlich, dass man normalerweise

eine halbe Stunde brauchte, um einen Schubkarren zu füllen. Das mag lang scheinen, aber es war neben der

Kälte auch unserer allgemeinen Schwäche zuzuschreiben. Wir hatten keine Kraft mehr, weder in den Armen

noch in den Beinen. Was ein Arbeiter in der Freiheit in einer halben Stunde schaffte, dafür brauchten wir

einen halben Tag, oder wir schaffen es überhaupt nicht. [...] Wir versuchten natürlich, so langsam wie irgend

möglich zu arbeiten, um unsere Kräfte zu schonen, [...]. Eine Hauptregel war, immer in Bewegung zu sein,

jedenfalls dann, wenn jemand zu uns herübersah. Wir arbeiteten deshalb sozusagen mit offenen Ohren und

Augen, denn es galt, unter keinen Umständen ›aufzufallen‹, das heißt beim langsamer Treten oder beim

Nichtstun erwischt zu werden. [...]« - Häftling Ernest Gillen über seinen Einsatz im Straßenbaukommando

»Jede zugewiesene Arbeit hat der Gefangene ohne Widerrede sauber und schnell auszuführen. Bei

Nichtbefolgung erfolgt Meldung wegen Arbeitsverweigerung, was besonders schwer bestraft wird. Das

Gleiche gilt für Drücken von der Arbeit.« - Auszug aus der Lagerordnung

 

Allein dieser Auszug macht uns klar, dass die Straße, auf der wir zum Lager gelangt sind, von Häftlingen erbaut wurde, unter Bedingungen wie Hungersnot und Hinrichtungen.

Als wir das Museum wieder verlassen, stehen wir direkt vor der Nachbildung des Galgens. An ihm wurden jeden Monat Häftlinge erhängt:

 

Auszug aus dem Zeitzeugenbericht: (Vgl. Awosusi / Pflock: Sinti und Roma im KZ Natzweiler-Struthof 49)

»Weihnachten kam [...] und an zwei Tagen hintereinander nachmittags die Arbeit erlassen. [...] Aber es gab

auch andere Freuden. [...] Gleich mittags bei der Rückkehr von der Arbeit bietet man uns die erste. Zwei

Galgen sind auf dem oberen Podium errichtet. Davor steht die ganze Belegschaft im Viereck und so werden

zwei Häftlinge erhängt; langsames Erhängen, nicht durch den Fall des Körpers herbeigeführt, sondern durch

einfaches Erwürgen. Das Opfer braucht mindestens zwei Minuten, um zu sterben. Als dieses Schauspiel

vorbei war, mussten wir mit 'Mützen ab' in Fünfer-Reihen zwischen den beiden baumelnden Leichen

hindurchgehen, rechts und links von uns der Generalstab der SS, wo Kramer thronte [...]; mit den Augen

Wahnsinniger genossen sie es und beobachteten die Nachwirkungen, die es auf uns ausübte. Aber wir zogen

vorbei, automatisch, gleichgültig, den Blick ins Ungewisse gerichtet, und dachten vor allem an unsere Suppe,

die auf uns wartete und in unseren Essnäpfen kalt wurde. Dieses Schauspiel hinderte uns nicht daran, fünf

Minuten später drei Kartoffeln in etwas Fleischsauce zu genießen und am Nachmittag zu singen und Musik zu machen [...].«

 

Die Menschen waren abgestumpft! Ein Frack und trotzdem lebten sie weiter und erfreuten sich an allen kleinen Dingen des Lebens. 

Wir laufen den Berg runter zu dem Krematorium und dem Zellentrakt. Hier unten war auch die alte "Krankenstation" auf der mehr Menschen starben als gerettet wurde:

 

»Auf der Krankenstation sah ich viele Häftlinge sterben, weil man sie nicht pflegte. Nicht weit von mir lag ein

17-jähriger Junge von der Côte-d'Or. Er hatte eine Rippenfellentzündung und hohes Fieber. Man versprach

ihm ein Aspirin. Der arme Junge litt furchtbar und sein Todeskampf war etwas Entsetzliches.

Ein anderes Mal hörte ich nachts neben mir Rufen. Ich stand auf, ein kranker Italiener bat mich um Kaffee.

Ich habe etwas Kaffee gewärmt und ihm zu trinken gegeben. Gierig trank er ihn und dankte mir. [...] Seine

großen starren Augen richteten sich auf mich. Als er getrunken hatte, sagte er ›Grazie‹ [Danke], dann sagte

er zweimal, mit bereits tonloser Stimme, das Wort ›morire‹ [sterben]. Kaum hatte er es ausgesprochen,

drückte er meine Hand, ließ den Kopf auf das Kissen sinken und starb.

Wie viele andere habe ich an meiner Seite sterben sehen.«

 

Was war das für eine Erfahrung, jemanden vor den Augen sterben zu sehen und nichts mehr tuen zu können? Zum Glück ist soetwas heutzutage unvorstellbar! Genauso unvorstellbar heute sind die Taten, die im Krematorium verrichtet wurden. Der Ofen ist hier noch original und der Geruch in der Luft liegt schwer auf der Seele. Unser Geschichtslehrer vermittelt uns einen ausführlichen Eindruck auf das Geschehen hier im Krematorium:

 

»Als Anfang September 1944 die Alliierten heranrückten und Natzweiler evakuiert werden sollte, gingen die

Freiheitskämpfer unten in den Tälern zu offenem Widerstand über. Ein Teil der männlichen Bevölkerung

wurde daraufhin verhaftet und zur Exekution in unser Lager überführt. Zu hunderten sahen wir sie

hereinströmen. Sie wurden nicht registriert, bekamen weder Nummern noch Lagerkleidung, wurden nicht

kahlgeschoren oder in Baracken untergebracht. Ihr Weg führte sie geradewegs ins Krematorium. Dort

wurden sie neben dem Ofen gehängt und danach verbrannt. Als dies immer mehr Zeit in Anspruch nahm –

es gab nur vier Haken und die Amerikaner rückten immer näher –, verzichtete die SS auf das Hängen und

stieß die französischen Widerstandskämpfer ohne weitere Umstände in den Ofen. An diesen Tagen schlugen

die Flammen meterhoch aus dem Schornstein des Krematoriums. Über das Lager wehte der Gestank von

verbranntem Fleisch. Im Dunkeln verwandelte sich der hohe Schornstein in seiner ganzen Länge zu einem rot glühenden Mal. [...]«

 

Ich lasse den Zeitzeugenbericht hier einfach stehen, mehr habe ich dazu einfach nicht zu sagen. Nun verlassen wir das Lager und treten den Weg zu den Gaskammern an. Das Bauernhaus am damaligen Skihotel Le Struthof wurde zur Zeit des Nationalsozialismus zu einem Labor für die Universität Straßbourg umgebaut. Hier wurden ähnlich wie im Konzentrationslager Auschwitz menschenverachtende Experimente an Häftlingen durchgeführt:

 

»[...] Die Gebäude sahen wie folgt aus: Es war ein landwirtschaftliches Gebäude. In einem Vorraum zu diesem

Gebäude, der durch zwei große Tore verschließbar war, die jetzt aber geöffnet waren, stand ein Tisch, auf

dem sich verschiedene ärztliche Instrumente befanden. Ich weiß noch, dass Spritzen darauf lagen und

Trinkbecher und einige Flaschen. Der Professor [vermutlich Eugen Haagen] klärte uns auf, was er mit uns

vorhatte. Wir brauchten keine Angst zu haben, es würde niemand sterben, er mache Gasversuche mit uns. Er

versprach uns für danach gute SS-Verpflegung. Mich fragte er: ›Sind Sie Herr Guttenberger?‹. Ich war

überrascht, dass er mich kannte, merkte aber dann, dass er die Liste mit den Häftlingsnummern hatte, die

auf meiner Jacke aufgenäht war. Vorher hatte einer von den vier Häftlingen eine Spritze bekommen, einer

bekam etwas zu trinken (ein Glas Flüssigkeit), und zwei Häftlinge, darunter war ich, bekamen nichts. Der

eine, der nichts bekommen hatte, bekam unmittelbar nach dem Versuch eine Spritze. Ich blieb folglich als

einziger ungeschützt. Während der Einnahme der Schutzmittel waren die Ärzte anwesend. Der Professor

diktierte seinem Assistenten die Einzelheiten betreffend der einzelnen Häftlinge. Wir wurden dann in die

Gaskammer eingewiesen. Bevor die Tür geschlossen wurde, warf der Professor zwei Ampullen auf den

Betonboden und schloss die Türe sogleich. Ich erkannte sofort, dass lediglich eine Ampulle zerbrochen war

und schob die zweite mit meinem Holzschuh in eine Ecke bei der Tür. Ich teilte meine Beobachtung den

übrigen drei Häftlingen mit. Nach ca. zwei bis drei Minuten setzte ein schrecklicher Hustenreiz ein, die Brust

schmerzte. Ich kann das am besten beschreiben mit einem Ätzen auf der Brust. Während des Herumgehens

um den Ventilator beobachteten uns die Ärzte durch ein Fensterchen in der Wand, Größe ca. 20 x 20 cm. Der

Professor fragte mich persönlich zwischendurch, ob tatsächlich beide Ampullen auf dem Boden zerbrochen

seien. Ich habe das trotz der Scheibe gut verstanden und geantwortet, dass beide Ampullen zerbrochen

seien. Das fragte er mich mindestens dreimal. Als die Versuchszeit zu Ende ging, hörte ich plötzlich das

Einschalten eines Ventilators, der sich an der Decke in einem Schacht befand. Dieser Ventilator war sehr

hochtourig. Im gleichen Zeitpunkt öffnete der Professor die Türe einen Spalt, so dass ein kräftiger Durchzug

entstand, der bewirkte, dass das Gas nach oben abzog. In dem Moment, wo der Ventilator sich in Bewegung

setzte und sich langsam die Türe öffnete, trat ich blitzschnell auf die zweite, noch nicht zerstörte Ampulle

und atmete dadurch noch einmal eine größere Menge Gas ein. Der Professor, der das Knacken des Glases

wohl gehört hatte, schaute mir plötzlich ins Gesicht, weil er sich nicht sicher war, ob es das Zerbrechen der

Ampulle war oder nicht. Ich war geistesgegenwärtig und zeigte keine Erschrockenheit. Nachdem wir die

Gaskammer verlassen hatten, wurden wir nicht mehr untersucht. Bevor die letzten vier Häftlinge in die

Gaskammer geführt wurden, waren wir bereits nicht mehr da.«

– Aussage des ehemaligen KZ-Häftlings Rudolf Guttenberger (Sinto) vom 04.06.1981 im Rahmen eines

Nachkriegsprozesses

 

Ein weiteres Zeugnis, das das Überleben schwer und fast unmöglich war. Nach Wikipedia lag die Sterberate in Struthof bei 60%. Doch wer fühlte sich verantwortlich für all diese Taten? Keiner, genau wie bei den Nürnberger Prozessen bekannten sich alle angeklagten als "nicht schuldig"!

 

»Himmler war mein oberster Vorgesetzter, und jeder Befehl, der von ihm kam, war selbstverständlich

durchzuführen. Eine andere Ansicht bestand einfach nicht, und einen militärischen Befehl nicht

durchzuführen, stand außerhalb jeder Frage. [...]

Die Gründe, weshalb diese Leute in mein Lager geschickt wurden, gingen mich nichts an. Meine Aufgabe war

es, sie entgegenzunehmen. Ob es ein politischer Gefangener oder ein Jude oder ein Berufsverbrecher war,

ging mich überhaupt nichts an. Ich nahm die Körper entgegen, das war alles.«

– Aussagen von Josef Kramer vor dem englischen Militärgericht in Lüneburg.

»Erstens. Ich bin an den mir zu Last gelegten Straftaten für Bergen-Belsen wie auch für Auschwitz völlig

unschuldig.

Zweitens. Ich bin kein Kriegsverbrecher.

Drittens. Ich habe keinen Menschen aus eigener Initiative getötet.

Viertens. Ich war nur Soldat und habe als solcher die Befehle meiner militärischen Vorgesetzten ausgeführt.«

– aus einem Brief Josef Kramers an General Montgomery, zehn Tage vor seiner Verurteilung zum Tode.

 

Der Bus kam und wir stiegen ein. Zurück auf der Autobahn atmete mein Körper innerlich auf und ich hatte das Verlangen, mir diesen Schmutz vom Körper zu waschen. Endlich waren die Grausamkeiten dieses KZs vorbei! Auf der Busfahrt erfahre ich leider, dass in einer Parallelklasse auf dem Gelände des Konzentrationslagers Judenwitze gemacht worden sind. Das enttäuscht mich unfassbar, denn wie kann man über solche Schandtaten Witze machen? Wie können Menschen dann auch noch über solche Witze lachen? Oder wie kann man den Holocaust leugnen? Es ist der letzte erschütternde Schlag an diesem Tag. Schließlich ist es eine Straftat, den Holocaust zu leugnen und man kann dafür bis zu 5 Jahren Haft bekommen. Ich denke, im Nachhinein werde ich mich sehr lange an diesen Tag erinnern und hoffe, dass Viele der Besuch im KZ Struthof ähnlich prägen wird. Falls ihr noch in Klasse 8 oder abfolgend seit, war das hier ein abstoßenden Vorgeschmack eurer Exkursion in der 9. Klasse! Für alle, die älter sind und das KZ bereits besucht haben, habe ich diesen Einblick hoffentlich gut umgesetzt. Alle, die noch die Kraft haben, über schwierige Fragen nachzudenken: Was ist eure Meinung zu der Frage: Sollten Konzentrationslager renoviert werden? Schreibt eure Meinung für einen folgenden Artikel in die Kommentare!

 

Lasse

 

 Alle Zeitzeugenberichte sind aus den folgenden Quellen:

 

LpB BaWü u. a., LM Das Konzentrationslager Natzweiler im Elsass, Handreichung zum Besuch der Gedenkstätte am ehemaligen Hauptlager – Wegweiser zu den Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler e.V. (VGKN) und dem Centre européen du résistant déporté (CERD). Stuttgart ³2019 (überarbeitet und ergänzt). – A. Awosusi / A. Pflock, Sinti und Roma im KZ Natzweiler-Struthof. Anregungen für einen Gedenkstättenbesuch, Geschichte, Rundgang, Biografien, Informationen. University of California 2006.
Um Struthof unabhängig einer Exkursion durch die Schule zu besuchen, besucht die Webseite Struthofs:

Am Ende möchte ich unseren Geschichtslehrern einen Dank für die umfanglichen Informationen aussprechen. Ein besonderer Dank geht hierbei an Herrn Brünjes, der mir alle Quellen zur Verfügung gestellt hat. Danke nochmals!

 

 

 


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